Friday, 20. January 2006
- Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.
- -- Altes Sprichwort
Jean-Remy von Matt, ist einer der beiden Gründer von "Jung von Matt", der Werbeagentur, die eine der entscheidenden Kräfte der "Du bist Deutschland" Werbekampagne ist. Ich persönlich bezeichne diese Gruppe von Leuten gerne als " Location-Switcher". Er ist etwas verschnupft darüber, dass es Leute gibt, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Lage nicht so begeistert sind von seiner tollen Kampagne, und dies auch noch öffentlich Kund tun. Jedenfalls hat es unter anderem auf den "Klowänden" des Webs, er meint damit die Blogs, schon eine Menge Kritik gegeben. Und mit Kritik kann er anscheinend nicht so wirklich umgehen. Das veranlasste ihn eine E-Mail zu schreiben, die jetzt gerade so richtig schön über eben diese Klowände geistert. Auch ich kann mich nicht eines Kommentares entziehen. Hier also nun seine E-Mail inklusive meiner Kommentare.
- Meine Mutter hat mir beigebracht, dass man sich für ein Geschenk bedankt, selbst wenn man damit nichts anfangen kann. Wie Recht sie hatte, ist mir gerade wieder klar geworden.
- Es ist ja schon fast bittere Ironie, dass dieser Ausspruch von jemanden kommt, der mit dem Trojanischen Pferd auf der Homepage seiner Firma wirbt. Alle weiteren Überlegungen dazu überlasse ich der Phantasie der Leser hier.
- Vor zwei Wochen startete "Du bist Deutschland", die größte gemeinnützige Kampagne aller Zeiten und ein riesiges Geschenk.
- Aha. "Riesiges Geschenk"... "gemeinnützig", da gucke ich doch noch mal kurz bei Wikipedia unter Gemeinnützigkeit nach, welche wiederum aus dem Gesetz zitieren: "Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern." (§ 52 Absatz 1 Satz 1 AO)
Da will ich doch mal zu gute halten, dass dies wohl so gemeint war. Herausgekommen ist leider etwas anderes.
- Die großen Verlage haben Zeit und Raum im Wert von 35 Millionen Euro geschenkt. 30 Promis der ersten Liga haben Zeit und ihr Gesicht geschenkt. Wir und kempertrautmann haben Zeit und Herzblut geschenkt.
- Mich interessiert brennend: wie ist diese Summe zusammengekommen? Sind das die Werte, wenn sie den "Zeit und Raum" verkauft hätten oder die Preise, die die Bereitstellung gekostet hat? Jedenfalls halten einige dieser 30 Promis Ihr Gesicht gerne bei vielen Gelegenheiten in die Kamera. Viele Programmierer (auch in Deutschland) schreiben nach Feierabend gerne Programme, die sie kostenlos der Öffentlichkeit zugängig machen. Die verschenken viel mehr Zeit und Herzblut in einer Woche als die beiden Werbeagenturen zusammen in einem ganzen Jahr. Die beklatscht auch niemand, sondern ihnen wird gerne mal vorgeworfen, dass ihre Programme nicht so gut sind wie eventuelle kommerzielle Gegenstücke. Willkommen im Leben.
- Das Ziel: Die Miesepetrigkeit bekämpfen.
- Die bekämpft man wohl doch besser mit Taten statt mit Worten. Ich frage mich ernsthaft, was für ein Ruck durch Deutschland gegangen wäre, wenn von diesen 35 Millionen eine gemeinnützige Organisation gegründet worden wäre, die zum Beispiel versucht hätte Hartz-IV Empfängern eine Möglichkeit zu geben selbstständig zu werden.
- Der Dank: Miesepetrigkeit. Glücklicherweise nur von den Gruppen, von denen man nichts besseres erwarten konnte:
- Klar wer Wein predigt und Wein trinkt, während die anderen nur Wasser haben, braucht sich nicht zu wundern, wenn die dem so ganz und gar nicht zustimmen wollen. Also ich kann das nachvollziehen.
- 1. Von den Werbekollegen, die sich in den Branchenblättern eifrig zu Wort meldeten. Viele von ihnen finden die Kampagne nutzlos, "weil Werbung doch nicht das geeignete Mittel sein kann, eine Nation wirtschaftlich wieder nach vorn zu bringen". Nicht gut, wenn unsere Branche selber nicht mehr an die Kraft von Kommunikation glaubt.
- Dazu möchte ich gerne einen Professor zitieren, dessen Vorlesung ich im Rahmen meines Studiums besucht habe: "Sie müssen nicht darüber reden sie müssen es machen!" Kommunikation ohne Taten hat keine Kraft. Das ist meine Meinung, ich bin kein Kommunikationswissenschaftler, deshalb kann ich da auch falsch liegen. Ich lasse mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen... aber das könnte man ja auch schon wieder als Tat ansehen.
- 2. Von den Weblogs, den Klowänden des Internets. (Was berechtigt eigentlich jeden Computerbesitzer, ungefragt seine Meinung abzusondern? Und die meisten Blogger sondern einfach nur ab. Dieser neue Tiefststand der Meinungsbildung wird deutlich, wenn man unter www.technorati.com eingibt: Du bist Deutschland.)
- Hier drängt sich mir dann doch die Frage auf: "Wie bitteschön sehen die Wände der Toiletten der Werbeagentur Jung von Matt aus?". Die Wände meiner Toilette sind jedenfalls nicht beschrieben. "Der Tiefststand der Meinungsbildung" ist meiner bescheidenen Meinung nach aber immer noch die Werbung, die versucht mir über Assoziationen Dinge anzudrehen, ohne die das Leben der Menschen deutlich besser ablaufen würde, wie zum Beispiel Zigaretten. Wobei das ja eigentlich schon gar keine Meinungsbildung mehr ist sondern einfach nur Manipulation. Und bitte, das Prädikat "Tiefststand der Meinungsbildung" ist doch bitte immer noch der Bild-Zeitung zuzuordnen.
- 3. Von den intellektuellen Journalisten von FAZ bis TAZ, die ihre Meinung zwar insofern gefragt absondern als sie eine nachweisbare Leserschaft haben, aber: "Den Höhepunkt an Zynismus gewinnt die Kampagne aber in dem Fernsehspot, der Schwule und Behinderte auf dem Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals versammelt" (Die Zeit).
- Da muss ich "Der Zeit" voll und ganz recht geben. Aber das erwähnte ich ja auch schon mal. Und auch wir haben hier eine nachweisbare Leserschaft, was sich mit unseren Serverlogs belegen läßt. Ausserdem fehlen da noch zwei Punkte:
4. Die Hartz-IV Empfänger, die mit den 35 Millionen Euro was wesentlich sinnvolleres hätten anfangen können.
5. (Und hier sehe ich mich mit eingeschlossen) Die Gruppe der Leute, die hoffen, mit ihrer Stimme noch etwas verändern zu können, auch von den Politikern "Wähler" genannt. Als solcher fühle ich mich schlichtweg von der Kampagne veräppelt, aber das gleiche passiert mir ja auch bei Werbung für andere Dinge, wie zum Beispiel Zigaretten.
- Blöd, wenn man soviel Kopf hat, dass einem jedes Bauchgefühl verloren gegangen ist.
- Also, ich finde zu wenig im Kopf und zuviel Bauchgefühl deutlich blöder, im wahrsten Sinne des Wortes.
- Übrigens: Sebastian Turner findet die Kampagne einfach nur falsch.
- Recht hat er. Und das von einem "Werbepapst". Respekt. Für Sebastian Turner, meine ich.
- Falsch, was ist das? Auch nach dem 50. Mal gucken, bin ich von dem TV-Spot immer noch berührt bis ergriffen - obwohl ich nicht einmal Deutschland bin.
- Es gab mal eine hier sehr schön passende Folge von "Wer ist hier der Boss?". Tony belegte einen Kurs zum Thema Werbung, den Angela gab. Abschlussprojekt sollte ein eigener Werbespot sein. Tony's Arbeit war ein aufwendig gedrehter Werbespot für Waschmittel: zwei aufreizende Blondinen betrieben Schlammcatchen. Als beide am Boden lagen legte er sich daneben und meinte: "Um das wieder sauber zu bekommen, brauchen sie mein Waschmittel."
Der Spot war richtig gut gemacht, er bekam trotzdem eine fünf. Warum? Fragen wir uns doch mal: "Wer kauft Waschmittel?" Richtig, zum grössten Teil wohl Hausfrauen. Und was halten die wohl vom Schlammcatchen? Vermutlich nicht viel. Er hat also seine Zielgruppe voll verfehlt, deshalb die fünf. Und aus genau dem gleichen Grund gebe ich dem "Du bist Deutschland" Werbespot auch eine fünf, denn genau das ist falsch: die Zielgruppe. Es geht um die vielen Deutschen in Deutschland, denen es nicht wirklich gut geht, und nicht um die wenigen Schweizer (oder auch Prominente) in Deutschland, denen es recht gut zu gehen scheint.
(Übrigens: Ich habe auch schon Programme geschrieben, bei denen ich auch nach dem 50. Mal Quellcode angucken noch gerührt bin, wie gut das geworden ist. Das interessiert aber auch keine Sau.)
- Kann das falsch sein?
Euer Jean-Remy
- Ja, denn falsch ist es Probleme mit propagandaartigen Mitteln lösen zu wollen, und sich dabei auch noch selbst zu beweihräuchern. Und mit propagandaartig meine ich nicht den Ausrutscher beim Titel, das was da vermittelt werden soll: "Wir müssen einfach nur zustimmen, unseren Arsch bewegen, und schon wird alles gut."
Kurze Anekdote zum Schluss: Irgendwie erinnert mich das an zwei DJs in meiner alten Stammdiscothek, das "Peppers" in Harsum bei Hildesheim. Diese meinten, nachdem sie einen Abend so richtig schlecht aufgelegt hatten, als Resümee für den Abend: "Wir waren gut, nur das Publikum war scheiße!" In dem Gebäude ist jetzt übrigens eine Dönerbude. Das "Peppers" gibt's nur noch als Revival-Party mit Leuten, die ich nicht kenne, obwohl ich dort Stammgast war, und mit über die Hälfte der DJs dort auch persönlich verkehrte.
Und Herr von Matt, Sie mögen der Meinung sein, dass dies hier nur eine Klowand ist. Dennoch gebe ich auf die Meinung, die mithilfe eines guten Blogeintrags Kund getan wird, mehr als auf die gesamte Werbung mit der ich tagtäglich bombardiert werde. Denn die sagen etwas, weil sie meinen etwas zu sagen zu haben, nicht weil sie es bezahlt bekommen. Und das auch noch im Endeffekt von mir, dem zum Konsum verdammten Bürger.
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