- Keinerlei Jugend ist noch anwesend, das versteht sich ja von selbst. Buchhalter, angegraute Agenturleute, Werber, die Vertriebsmanager der Phono-Branche und so weiter. Auf wessen Kosten schlagen sich eigentlich all diese verbiesterten Büro-Gesichter die Bäuche voll? Etwa auf Kosten der Jugendlichen, die die CDs kaufen sollen? Brennt bloß schwarz weiter, Kinder!
- -- Joachim Lottmann in der SZ über die Aftershow Party des ECHO 2005
Es ist also soweit. Wieder sind wir 1984 einen Schritt näher gekommen. In Berlin wurde kurz
genickt, in Brüssel wurde kurz
genickt, und der Bürger hat wieder einmal mehr Gelegenheit sich für Dinge rechtfertigen zu müssen, die andere nichts angehen. Für die Leute, die nicht auf Links
nicken klicken wollen: es geht um die so genannte "
Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten in der Telekommunikation".
Da reicht also der aktuelle Weg nicht mehr aus. Da muß man noch zu einem Richter gehen, um die Speicherung von solchen Daten von Verdächtigen zu beantragen. Jetzt ist einfach mal so spontan ganz Deutschland verdächtig. Das passt ja ganz gut zu den aktuellen
Forderungen der Musikindustrie: Wegfall der Bagatellklausel beim sogenannten zweiten Korb der Urheberrechtsgesetznovellierung. Also machen wir doch mal eben die Kinder auf den Schulhöfen zu Kriminellen. Wenn ich mir so überlege, was wir damals zu C64-Zeiten an illegalen Kopien hatten, da müssten wir - bei dem was sich die Industrie heute so an Gesetzen vorstellt - wohl bis zu unserer Rente die Schulden von Gerichtskosten, Wiedergutmachungszahlungen, etc abbezahlen. Interessanterweise hat diese Urheberrechtsverletzungen keine Firma in den Ruin getrieben. Zu den Anfangszeiten hatten die Cracker noch so etwas wie einen Codex: die Spiele wurden erst ein bis zwei Monate nach der Veröffentlichung in Umlauf gebracht. Wer also richtig heiß auf ein Spiel war, und nicht warten wollte, musste es kaufen. Wenn ich mir die heutige Zero-Days-Warez Szene so angucke, bin ich sicher, dass "damals alles besser" war. (Kurze Anmerkung: heute kommt es nicht mehr auf sauber gecrackte Software an, sondern nur auf eine möglichst schnelle Veröffentlichung. Das hat zur Folge, dass es von vieler Software zwei Versionen gibt: eine sofort mit null Tagen "Wartezeit", die aber meist nicht richtig läuft, und eine "richtig" gecrackte, die dann etwas später folgt.)
Und die Deutsche Musikwirtschaft für den "besseren Schutz für Kreative ... und Verwerter" vertritt folgenden Standpunkt: (Zitat aus dem Heise Newsticker)
Die Rechteinhaber benötigten einen "Auskunftsanspruch gegen Internetserviceprovider über die Identität von Rechtsbrechern, um sich gegen Piratierie im Netz wirksam wehren zu können". Derzeit bleibe nur der Weg über die Staatsanwaltschaften, und der sei kostenintensiv.
Tja, Mensch, das ist doch klasse, wie das zusammenpasst: die Daten sind einfach so da, und wir schalten noch den Mittelsmann aus. Und, sorry, für mich klingt das weniger nach "Schutz für Kreative", sondern eher nach "die Musikindustrie sichert ihre
Pfründe". Und überhaupt: Der Staatsanwalt ist zu teuer? Dann sind Euch Eure Rechte also doch nicht so viel Wert wie Ihr immer behauptet, oder wie soll ich das jetzt verstehen? So kann aber immerhin demnächst jeder der sich für Musik interessiert zur Kasse gebeten werden.
Entweder beim Kauf der Musik bei Preisen, die bei nur knapp dem Doppelten von dem liegt, was uns die Industrie bei der Einführung der CD versprochen hat: sobald die CD sich am Markt ebenso stark wie die Schallplatte etabliert hat, wird sie das gleiche kosten. Aktuelle Schallplatten (also Alben) kosteten damals zwischen 15 und 20 D-Mark. Heute zahlt man zwischen 15 und 20 Euro für eine CD. Naja, wenigsten die Zahl stimmt noch.
Oder aber über das Abhören des Netzwerkverkehrs bei Otto Normalverbraucher. Da findet man bestimmt schon jemanden, der da Sachen saugt (und dank eMule und BitTorrent auch im gleichen Zug wieder anbietet), die ihm ja eigentlich nicht gehören. Dann braucht man nur noch einen Juristen, der zwar sein Studium abgeschlossen hat, aber bei keiner Kanzlei und auch nicht bei Gericht untergekommen ist. Da gibt es genug von, zumindest wird es einem ja immer wieder glaubhaft versichert. Und so wird dann aus dem Volkssport "Wir sehen uns vor Gericht" bald eine Haupteinnahmequelle der Musikindustrie. Da fehlt dann eigentlich nur noch der direkte Login der Musikindustrie auf den Servern der Telekommunikationsindustrie, und wer da nach Kontrolle ruft, hat bestimmt was zu verbergen.
Um dagegen ein Zeichen zu setzen, dass die Industrie mit massiven Lobbyismus versucht aus
Bagatellen ein Kapitalverbrechen zu machen, habe ich meinen Namen auf
diese Petition gesetzt, die sich gegen diese Vorratsdatenspeicherung ausspricht. Vielen Dank an die
deutschen Pinguine, die mich in ihrem Blog darauf
aufmerksam gemacht haben.
Eventuell teilt ja der eine oder andere Leser meine Bedenken und trägt sich da auch ein. Falls ja, dann danke!
(Das einzige, was mich etwas verwundert: Warum wird die Seite von einer englischen Universität gehostet?)
Kommentare
Was ich dabei zu Gute halten möchte, ist dass die Spielzeit einer LP ca 35-45 Minuten beträgt, aber eine CD typischerweise zwischen 40-80 Minuten dagegenhält. Trotzdem kosten 35 Minuten Kraftwerk, die nun auch schon 20 Jahre und mehr auf dem Buckel haben, 17 Euro. Als fair empfinde ich das nicht.
Und der Brüller ist, dass die RIAA in den USA mittlerweile davon redet, dass die "fair use"-Kopie für den MP3-Player nur eine Einwilligung sei, die jederzeit zurückgenommen werden könne. (http://www.heise.de/newsticker/meldung/69707) Als nächstes darf ich dann also noch die Musik also noch ein zweites Mal kaufen?
Da muss doch wieder mal ein Manager den Koks mit dem Traubenzucker verwechselt haben, Anders kann ich mir eine solche Realitätsferne nicht erklären.
Sein einigen Jahren sinkt der Reallohn in Deutschland waehrend die Betriebsergebnisse steigen. Und da haben die Unternehmensvertreter noch die Chuzpe von *Schweren* *Zeiten* [tm] zu reden und uns zu sagen, wir moechten uns doch bitte mal in Zurueckhaltung ueben? Mein Kompliment!
Dass vor diesem Hintergrund die Leute anfangen sich Gedanken ueber das System zu machen ist keine Ueberraschung fuer mich. Aber wohl auch keine Ueberraschung fuer die Staatsfuehrung. Warum sonst besteht so grosses Interesse an Kameraueberwachung und Bundeswehreinsatz im Innern? Ein Schelm wer Boeses dabei denkt.
Ich glaube nicht, das Dr. Josef Ackermann, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, der trotz Rekordergebis tausende Leute auf die Strasse setzt, sich über einen sinkenden Reallohn beschweren kann.
Als jemand, der dank seiner späten Geburt die vollmundigen Versprechungen zur Einführung der CD nicht mitbekommen hat, kann ich sogar feststellen, dass der Preis einer CD nominell konstant geblieben ist, kaufkraftbereinigt vielleicht sogar gefallen. (aber ich habe keine Lust, das genau auszurechnen).
Das finde ich eigentlich ganz ok für ein Produkt, deren Kosten hauptsächlich durch Dienstleistungen bestimmt werden.
Am meisten wurmt mich das selbst entlarvende Zitat:
"Die Rechteinhaber benötigten einen "Auskunftsanspruch gegen Internetserviceprovider über die Identität von Rechtsbrechern, um sich gegen Piratierie im Netz wirksam wehren zu können". Derzeit bleibe nur der Weg über die Staatsanwaltschaften, und der sei kostenintensiv."
1. Es gibt einen Unterschied zwischen Rechteinhaber und Rechteverwerter. Die Musikwirtschaft ist nur Verwerter, maßt sich aber beständig an, für die Rechteinhaber, also die Künstler zu sprechen und diese vor den Karren der eigenen Interessen zu spannen.
2. Hier wird von einem Auskunftsanspruch gegen "Rechtsbrecher" gesprochen. Also sollte ein Rechtsbruch auch erst einmal nachgewiesen werden, bevor in das Persönlichkeitsrecht anderer eingegriffen wird. Die Vorratsdatenspeicherung zielt aber gegen alle, nicht nur gegen "Rechtsbrecher".
3. Piraterie ist noch eine ganz andere Dimension.
4. Was die Musikwirtschaft hier mit der Umgehung der Staatsanwaltschaften fordert, ist Selbstjustiz.
Im Übrigen möchte ich noch anmerken, dass es momentan "nur" um die Speicherung von Verbindungsdaten, nicht aber um das Abhören des Datenverkehrs geht. Aber auch das ist schlimm genug.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar zur Vorratsspeicherung von Telekommunikations- und Internetdaten:
"Gegen diesen erheblichen Eingriff in die Privatsphäre und die Vertraulichkeit der Kommunikation unverdächtiger Bürger habe ich grundsätzliche Bedenken. Ich befürchte, dass diese Daten nicht nur für die Aufklärung schwerer Verbrechen genutzt werden. So fordert die Musikindustrie bereits seit längerem den Zugang zu Verkehrsdaten von Teilnehmern der Tauschbörsen im Internet."