[Jetzt auch als Veroeffentlichung und nicht nur als Entwurf]
Das wird uns gerne vorgeworfen und ich zumindest kann mich nicht ganz von diesem Vorwurf freisprechen. Es geht mir eigentlich gut. Ich habe einen Job, der nicht schlecht bezahlt wird, die Herzdame hat da auch keine Probleme und die einzigen Schulden die wir haben sind der Kredit fuer das Haus. Warum sollten wir also Jammern? Der Kuehlschrank ist voll, beim Einkaufen muss auch nicht unbedingt auf den Euro geschaut werden und im Winter ist die Wohnung auch nicht kalt. Kein Grund zum Jammern, oder? Auch unsere Eltern leben so, wie wir es noch aus unserer Kindheit gewohnt sind, also alles bestens. Also, warum Jammern?
Dazu moechte ich klarstellen, dass ich mich nicht ueber meine momentane Lage beklage, sondern die aktuelle Entwicklung nicht mag. Es geht mir gut und ich moechte ganz gerne, dass das so bleibt. Schaut man naemlich mal unter die Oberflaeche stellt sich heraus, dass man sich heimlich still und leise eben doch daran gewoehnt hat, nicht die teuersten Nahrungsmittel zu kaufen. Der regelmaessige Kinobesuch ist auch schon Vergangenheit und sich abends in der Kneipe zum Kartenspielen und Kloehnen zu treffen wird auch nach einem Blick in die Brieftasche noch mal ueberdacht. Und sollte es unseren Eltern nicht eigentlich richtig gut gehen, nachdem die hungrigen Maeuler der Kinder sich endlich selber stopfen? Nein, das Geld ist nicht uebrig, sondern wird direkt in die Aufrechterhaltung des erreichten Standards gesteckt. Und wer jetzt meint, dass die letzten Jahre des Arbeitslebens froehlich mit Blick auf die Rente abgerissen werden, der hat sich leider getaeuscht. Die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust ist groesser denn je. Zwischen 55 und 60 noch mal auf Jobsuche zu gehen ist ein nahezu hoffnungsloses Unterfangen. Und die BfA kennt da kein Erbarmen. Die Lebensarbeitszeit nicht voll bekommen? Tja, dann gibt es halt auch keine volle Rente, Du Sozialschmarotzer!
Nein, es ist noch nicht so, dass Freunde und Bekannte auf der Strasse sitzen, dass es nicht mehr fuer die Butter auf dem Brot reicht, man merkt aber, dass sie duenner wird. Und das wird beklagt. Selbst der ganz normale arbeitende Buerger ist nicht so stumpfdumm, dass er nicht merkt, wie es ganz langsam bergab geht. Und der ewig beschworene Aufschwung, gefeierte Rekordexporte, boomende Aktienkurse, all das kommt bestenfalls in den Medien an. Irgendwo zwischen der Gewinnberechnung und der Lohntuete geschieht ein Wunder und aus dem Rekordjahr mit Spitzenumsaetzen wird duch Zauberhand ein schweres Jahr in dem Alle Einschnitte machen muessen!
Aber nicht verzagen, es gibt eine Loesung: Deutschland muss einfach ein Niedriglohnland werden, dann ist alles wieder super. In der Zeitung Die Zeit schreibt am 25.Januar Hans-Werner Sinn, dass die Gewerkschaften die alleinige Schuld an der aktuellen Lage haben. Mit ihrer unverschaemten Forderung, Arbeiter fuer geleistete Arbeit angemessen zu bezahlen haben sie das Wirtschaftsgefuege Deutschlands zerstoert. Doch lese ich dann die Klage, dass es hier auch keine 'Zugehfrauen' mehr gaebe, meine ich zu spueren woher der Wind weht. Feudalismus Ahoi! Es gibt diejenigen, die auf der richtigen Seite geboren wurden, Land und Produktionsmittel kontrollieren und den Rest, der vom Wohlwollen der Herrscherklasse abhaengig sind. Waere doch nicht schlecht, oder? Der Poebel malocht, gibt die Fruechte seiner Arbeit an die Herren und darf dafuer am Leben bleiben, waehrend sich der Adel in der eigenen Ueberheblichkeit sonnt.
Da geht es hin, aber da will ich nicht hin! Ich wage zu behaupten, dass die wenigsten da wirklich hin wollen und doch kann man den Effekt schon beobachten. Es bildet sich ein Geldadel, fuer den Moral und Gesetz nur noch eingeschraenkt bedeutung haben. Und war es frueher Gott, der als Erklaerung dafuer herhalten musste, so ist es Heute der Markt. Ein abstraktes Gebilde, welches deutliche Parallelen zu einer Religion zeigt. Die Regeln werden nur von Eingeweihten wirklich verstanden und muessen dem Volk erklaert werden. Und wie jede Gottheit ist der Markt launisch und bestraft scheinbar willkuerlich das Volk. Doch auch hier heisst es, dass das nur Pruefungen seien und das die wahren Glaeubigen irgendwann Zugang zum Himmelreich bekommen werden, wie man ja an (Geld-)Adel und (Wirtschafts-)Klerus deutlich erkennen kann. Den Gedanken werde ich mal weiter verfolgen. Vielleicht kann ich ja nach weiterem Studium von Bibel und Wirtschaftsteil 'beweisen', dass sich der Kapitalismus vom Wirtschaftssystem zur Religion weiterentwickelt hat.
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